Wanderin zwischen den Welten
Katarzyna Bozek auf der Suche nach Antworten in Daten und Diagnosen
Text: Manuel Heckel
Fotos: Natalie Bothur

Biologie trifft Informatik, Forschung trifft Start-up-Spirit: Die Kölner Professorin arbeitet an der Schnittstelle gleich mehrerer Zukunftsthemen. Sie sieht das Potenzial für die Praxis – allen Hürden zum Trotz.
Ihr Weg hätte gradliniger, einfacher, sicher auch bequemer verlaufen können. Mit ihrem Informatikstudium Anfang der 2000er-Jahre in Warschau hatte Katarzyna Bozek eigentlich die Grundlagen für eine erfolgreiche IT-Karriere gelegt. Doch die Perspektive, jahrelang in der Industrie zu arbeiten, reichte ihr nicht: „Ich fand es schnell sehr einschränkend, nur als Software-Ingenieurin tätig zu sein“, erinnert sich Bozek heute. Knapp zwei Jahrzehnte und viele Stationen rund um den Globus später ist sie in einer Position angekommen, in der sie eher Schranken einreißt, als Einschränkungen zu erfahren.
Als Professorin für Data Analytics in der Bioinformatik ist Bozek seit Sommer 2022 an der Schnittstelle zweier hochtechnologischer und hochinnovativer Themen tätig: Auf der einen Seite die Biomedizin, deren Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen hat – als Quelle bahnbrechender Behandlungsmethoden für Krankheiten, gegen die lange Zeit keine Therapie möglich schien. Auf der anderen Seite die Datenanalyse, allen voran die Künstliche Intelligenz, die allein in den vergangenen drei Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. „Es geht hier um anspruchsvolle Algorithmen, die auf hochrelevante Themen angewendet werden“, beschreibt Bozek ihr Forschungsfeld.
Gute Gründungen brauchen gute Grundlagen
Und die Forschungsergebnisse, zu denen Bozek und ihr Team kommen, sind keineswegs nur für die nächste Konferenz relevant. Sie könnten die Grundlage für konkrete Anwendungen sein, die eines Tages das Leben von Menschen verbessern. „Ihre Projekte haben großes Potenzial für Technologietransfer und einen direkten Impact auf gesellschaftsrelevante biomedizinische Fragen“, formulierte es Gereon R. Fink, Dekan und Vorstandsmitglied der Uniklinik Köln, als Bozek zur Professorin ernannt wurde.
Damit steht Bozeks Arbeit zudem exemplarisch für eine komplexe Herausforderung. Vereinfacht ausgedrückt: Wie gelingt es, Forschung so auszurichten, dass die Ergebnisse zu gesellschaftlich relevanten Anwendungen führen – kurz: zu Innovationen? Dieser Aufgabe haben sich neun Professor*innen angenommen, zu denen auch Bozek gehört. Diese Stellen wurden durch das Gateway Exzellenz-Start-up-Center der Universität zu Köln geschaffen. Ihre Spezialgebiete reichen von Künstlicher Intelligenz bis zu Digitaler Bildung, von IT-Sicherheit bis zu Data Analytics. Sie forschen und lehren in Bereichen, in denen sich die Uni Köln zahlreiche innovationsträchtige Ausgründungen erhofft.

Bozek ist dabei mehr durch Zufall in ihrem Forschungsfeld gelandet. „Mein Hintergrund liegt eigentlich in der Informatik und ist sehr theoretisch“, erzählt sie. Doch an ihr Studium schloss sich eine Promotion am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken an, wo sie in eine Arbeitsgruppe kam, die mit biomedizinischen Daten arbeitete. Ihre Neugier war geweckt – und vertiefte sich bei Stationen in Leipzig, Shanghai und Okinawa.
In ihrer Arbeit geht es aktuell darum, das sogenannte Deep Learning für biomedizinische Bilder zu nutzen. Dahinter steckt eine Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz (KI): Digitale neuronale Netze, die den Nervenverbindungen des menschlichen Gehirns nachempfunden sind, übersetzen große Mengen unsortierter und unstrukturierter Informationen in eine klare Aussage. Dabei lernen sie Konzepte und entdecken Verbindungen und Muster, die weder ein Mensch noch ein herkömmlicher Input-Output-Algorithmus je formulieren könnte.
Assistenzsysteme für Ärzt*innen
Bozeks Team setzt dabei Methoden und Technologien ein, die auch in der Auto- oder Versicherungsindustrie von Nutzen sein könnten. Doch die Wissenschaftler*innen fokussieren sich auf biomedizinisches Ausgangsmaterial. Dazu zählen Bilder aus Röntgenverfahren, CT oder MRT sowie Zelldarstellungen, die häufig mit Mikroskopen aufgenommen wurden. Mal sind es vollständige Krankenakten, mal gezielt aufgenommene Zeitreihen von einzelnen Patient*innen und Krankheitsstufen. Das Vorgehen ist oft ähnlich: „Wie sucht und findet man ein sehr kleines Signal, wenn man sich sehr große Daten anschaut“, beschreibt Bozek die Herausforderung. „Oft hat man Millionen von Zellen in einem Bild.“
Gelingt es, diese Muster zu finden, können neue Biomarker, Auffälligkeiten, Alarmsignale definiert werden, die Ärzt*innen die Arbeit erleichtern – als eine Art intelligentes Assistenzsystem im hektischen Klinikalltag. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden frühere und gezieltere medizinische Interventionen möglich.
»Wir können mit diesen Algorithmen schneller Daten verarbeiten, Vorschläge machen oder für Ärzt*innen die Informationen hervorheben, die sie sich unbedingt ansehen sollten.«

Sie selbst taucht tief in die Probleme der heutigen Medizin ein, sieht sich dabei jedoch in erster Linie als Technologin. „Ich bin eine Informatikerin, die fasziniert ist von der Komplexität der Welt“, schreibt die 42-Jährige auf ihrer Homepage. Und benennt damit eine der großen Herausforderungen: Wie wählt man die konkreten Fragestellungen aus, die sie und ihr Team in Köln angehen? „In jedem medizinischen Bereich, in dem Daten sehr komplex sind oder aus mehreren Parametern bestehen, können unsere Methoden nützlich sein“, erklärt Bozek.
Interdisziplinär zur nächsten großen Idee
Um aus den unbegrenzten Möglichkeiten also klar abgegrenzte Ideen und Konzepte zu generieren, ist Struktur erforderlich. Was hilft, ist die Nähe vor Ort – ein interdisziplinäres Ökosystem. „Das Schöne am Campus hier ist, dass er wirklich interaktiv ist“, sagt Bozek. Die Daten mögen das wichtigste Arbeitsmaterial sein, doch entscheidende Impulse kommen immer von Menschen. Rund um die Augenheilkunde etwa suchte die Wissenschaftlerin gezielt nach Projektpartner*innen aus der Medizin. „Ich wusste, dass es in diesem Bereich jede Menge Bilddaten gibt und es schade wäre, sie nicht zu nutzen.“ Jetzt strukturieren sie und ihr Team unter anderem die komplette Bild- und Datenanalyse des umfangreichen Sonderforschungsbereichs 1607, der Therapien gegen altersbedingte Erblindungen entwickelt.
Auf der anderen Seite stehen die Türen des „Bozek Labs“ Mediziner*innen offen, die KI-Know-how benötigen. „Da gab es die Initiative von Nephrologen, die tolle Bilddaten produzieren, von denen ich nichts wusste“, berichtet Bozek. Jetzt werden Ansätze maschinellen Lernens eingesetzt, um hochauflösende Mikroskopaufnahmen von sogenannten Podozyten zu analysieren, spezialisierten Nierenzellen, deren Entwicklung Rückschlüsse auf die Filterfähigkeit dieses lebenswichtigen Organs zulassen kann. In einem anderen Projekt geht es darum, mithilfe der Bildanalyse frühe Anzeichen für eine hochaggressive Brustkrebsvariante zu erkennen.
Die Ansätze: hochrelevant, hochkomplex. Doch allesamt: noch ein gehöriges Stück davon entfernt, im medizinischen Alltag eingesetzt zu werden. Der Weg von den ersten Erkenntnissen über wissenschaftliche Studien bis hin zu einem Medizinprodukt ist lang und kompliziert.
Neugier für neue Pfade wecken
Hier geht es vor allem darum, Neugier bei den Nachwuchswissenschaftler*innen zu wecken: In Bozeks Team forschen knapp ein Dutzend junger Menschen aus aller Welt. Die klassischen Karrierepfade führen entweder in die Wissenschaft – sehr renommiert – oder in die Industrie – sehr gut bezahlt. Start-ups bieten eine Alternative. Bozek attestiert ihrem Team „Nerdiness“ und eine Leidenschaft für Algorithmen. Doch als Einzelkämpfer*in ist eine Gründung in einem so komplexen und regulierten Umfeld kaum zu schaffen. „Man braucht jemanden, der die medizinische Realität kennt und die Sprache der Ärzte spricht“, erklärt Katarzyna Bozek, die sich Kasia nennen lässt.

»Und man braucht jemanden mit guten Verkaufsfähigkeiten, um solche Lösungen auf den Markt zu bringen.«
Gemeinsam mit dem Gateway arbeitet sie daran, Gelegenheiten zu schaffen, die das Interesse an der Start-up-Welt wecken sollen. In unregelmäßigen Abständen kommen Unternehmer*innen auf den Campus, um von erfolgreichen Projekten im Bereich der digitalen Gesundheit zu berichten. Ein schwedisches Start-up, das KI zur Analyse von Mikroskopaufnahmen von Nierenzellen einsetzt, kooperiert bereits mit dem Kölner Team.
Klar ist jedoch: Die Konkurrenz durch etablierte Pharma- und Medizintechnikkonzerne bleibt groß. Auch Bozek selbst – mit ihrer Expertise in den Zukunftsthemen Machine Learning und Biomedizin – dürfte eine umworbene Kandidatin sein. Doch sie fühlt sich an der Uni, an der Schnittstelle von Forschung und Unternehmergeist, von IT und Biomedizin, genau am richtigen Platz. Mit einem Lächeln sagt sie: „Ich sehe in der Wissenschaft viel mehr Energie – und Menschen, die von Neugier angetrieben werden.“
